Von Maschinen und Menschen

Stell dir vor, du sollst mit einem Team einen Replikanten-Test im Auftrag der Regierung entwickeln. Wie muss man ihn gestalten, um herauszufinden, ob man einen Menschen oder eine Maschine vor sich hat?

Arbeitsauftrag: Gestaltet ein Gespräch zwischen drei Personen, in dem ein solcher Test angewendet wird.

50 Minuten, Dreierteams

  • Es sind verschiedene Konstellationen denkbar, etwa: Zwei Mitarbeiter:innen der Behörde und ein Replikant oder ein Replikant, ein verdächtigter Mensch und ein:e Mitarbeiter:in der Behörde etc.
  • Wichtig ist, dass die Replikanten natürlich alles geben, um sich zu tarnen. Entscheidet selbst, was das Ergebnis des Gesprächs ist und wann ihr es euren Leser:innen mitteilt.
  • Bereitet euren Dialog mit den Texten unten vor. Lest sie arbeitsteilig und tauscht euch kurz darüber aus.
  • Begründet eine eurer Fragen mit den Texten unten.

Thomas Nagel: Der Geschmack von Schokolade

Thomas Nagel (*1937) ist Professor für Philosophie an der New York University School of Law. Als Verfasser einer allgemein verständlichen Einführung in die Philosophie wurde er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.

Was geschieht beispielsweise, wenn man in einen Schokoladenriegel beißt? Die Schokolade schmilzt auf unserer Zunge und verursacht chemische Reaktionen in unseren Geschmackszellen; die Geschmackszellen senden elektrische Impulse durch die Nerven hindurch, die von unserer Zunge zu unserem Gehirn führen, und wenn diese Impulse das Gehirn erreichen, so erzeugen sie dort weitere physikalische Reaktionen; und schließlich empfinden wir den Geschmack von Schokolade. Was ist jedoch er? Kann er schlicht mit einem physikalischen Ereignis in einigen unserer Hirnzellen identisch sein, oder muss es sich bei ihm um etwas Grundverschiedenes handeln? Würde ein Wissenschaftler unsere Schädeldecke entfernen und in unser Gehirn hineinsehen, während wir den Schokoladenriegel essen, so würde er nichts weiter sehen als eine graue Masse von Nervenzellen. Würde er mit Messinstrumenten bestimmen, was dort vor sich geht, so würde er komplizierte physikalische Vorgänge der unterschiedlichsten Art entdecken.

Fände er jedoch den Geschmack von Schokolade? Es sieht so aus, als könnte er ihn in unserem Gehirn nicht finden, da unsere Empfindung des Geschmacks von Schokolade in unserem Geist auf eine Weise eingeschlossen ist, die sie für jeden anderen unzugänglich macht – auch wenn er unseren Schädel öffnet und in unser Gehirn hineinblickt. Unsere Erlebnisse sind im Innern unseres Geistes in einem anderen Sinn von „innen“ als jenem, in dem unser Gehirn sich im Innern unseres Kopfes befindet. Ein anderer kann unseren Schädel öffnen und sich sein Innenleben ansehen, er kann jedoch nicht unseren Geist öffnen und in ihn hineinblicken – zumindest nicht auf die gleiche Weise. Es handelt sich nicht bloß darum, dass der Geschmack von Schokolade ein Geschmack ist und daher nicht gesehen werden kann. Angenommen ein Wissenschaftler wäre verrückt genug, den Versuch zu wagen, meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten, indem er an meinem Gehirn leckte, während ich von einem Schokoladenriegel koste. Zunächst einmal würde mein Gehirn für ihn vermutlich nicht nach Schokolade schmecken. Doch selbst wenn dies der Fall wäre, es wäre ihm nicht gelungen, in mein Bewusstsein einzudringen und meine Empfindung des Geschmacks von Schokolade zu beobachten. Er hätte lediglich herausgefunden, dass sich kurioserweise mein Gehirn immer dann, wenn ich Schokolade esse, so verändert, dass es für andere Leute nach Schokolade schmeckt. Er hätte seinen Geschmack von Schokolade, und ich den meinen.
den meinen. Wenn unsere Erlebnisvorgänge auf eine andere Weise in unserem Bewusstsein sind, als sich die entsprechenden Gehirnprozesse in unserem Hirn befinden, so sieht es so aus, als könnten unsere Erlebnisse und andere psychische Zustände nicht einfach bloß physikalische Zustände unseres Gehirns sein. Wir müssen demnach mehr sein als bloß ein Körper mit seinem brausenden Nervensystem.

Oliver M. Scholz: Computer haben keine Gedanken

Oliver M. Scholz (*1960) ist seit 2001 Professor für Theoretische Philosophie der Neuzeit und der Gegenwart an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.

Die Hoffnung oder Befürchtung, es werde in naher Zukunft Maschinen geben, die denken, wollen und fühlen wie wir, ist unbegründet […]. Beginnen wir mit einem einfachen Beispiel: Was macht und kann eigentlich ein Taschenrechner? Die meisten werden antworten: Nun, er rechnet; er kann rechnen – und zwar sehr gut, viel besser als wir. In dieser Antwort verrät sich eine grundverkehrte Vorstellung davon, was Taschenrechner sind und leisten. Ein Taschenrechner ist ein Werkzeug, mit dem Menschen rechnen können – und wenn es sich um einen guten Taschenrechner handelt, können sie besser mit ihm rechnen, als sie es ohne ihn könnten. Genau zu diesem Zweck hat man Taschenrechner und ähnliche Werkzeuge entwickelt; sie dienen als eine Art Prothese, eine Rechenprothese eben. Aber das Gerät selbst – sozusagen auf sich gestellt – kann überhaupt nicht rechnen. Es versteht weder die Symbole und Befehle, die man ihm eingibt, noch die Ergebnisse, die auf seinem Display erscheinen, noch hat es einen Begriff von Rechnen oder von mathematischen Operationen. Das Gerät ist so gebaut und so programmiert, dass es, wenn wir bestimmte Tasten mit bestimmten Marken, die wir als Zeichen für Zahlen und mathematische Operationen interpretieren, in einer bestimmten Reihenfolge nach bestimmten Regeln drücken, einen Output produziert, den wir als Ergebnis einer Rechnung interpretieren können. Wenn wir häufig so reden, dass der Taschenrechner rechnen kann, dass er das-oder-das Resultat errechnet hat usw., dann handelt es sich um eine naheliegende, weil bequeme, aber strenggenommen uneigentliche Redeweise. Um zu einem komplexeren Beispiel überzugehen, kommen wir […] auf Deep Blue [zu sprechen], auf den sich ja auch KI-Enthusiasten […] gerne berufen. Als die Zeitungen „berichteten“, dass der IBM-Computer Deep Blue den Schachweltmeister Garri Kasparow geschlagen hat, sahen viele darin eine Demütigung, eine Niederlage für den menschlichen Geist. Dahinter steht offenkundig die Vorstellung, Deep Blue besitze dieselbe Art von Fähigkeit wie Kasparow – nur dass der Computer sie in höherem Grade besitze oder besser ausgeübt habe als sein menschlicher Gegner. Hier zeigen sich wiederum grundlegende Missverständnisse in Bezug auf Menschen, Computer und ihre jeweiligen Fähigkeiten. Kasparow nahm bewusst das Schachbrett und die Figuren wahr; er studierte die Stellung und dachte die nächsten Züge durch; er verfolgte Strategien, die er gegebenenfalls modifizierte; er freute und ärgerte sich. Seine Gedanken bezogen sich auf die Schachfiguren und Stellungen, auf frühere Schachpartien, auf frühere Gedanken über Schach und anderes mehr. Nichts dergleichen kann man von Deep Blue sagen: In dem Computer läuft ein Programm ab, indem Symbolketten, die er nicht versteht, in andere Symbolketten überführt werden, die für ihn ebenso wenig bedeuten. Deep Blue hat weder Gedanken über Schachfiguren noch über Schachregeln und –partien, noch über irgendetwas anderes; er hat überhaupt keine Gedanken. Sind uns Computer geistig überlegen? (2009)

Hans Goller: Schmerzen

Hans Goller (*1942) studierte Philosophie, Psychologie und Theologie. Bis 2008 forschte er an der Universität in Innsbruck (Österreich) v. a. zur Philosophie des Geistes.

Der Funktionalismus reduziert Mentales auf seine kausale Rolle, die mechanisch auf verschiedene Weise umsetzbar ist. […] Schmerzen haben zum Beispiel charakteristische Ursachen und Wirkungen, ihnen kommt eine bestimmte kausale Rolle zu. Körperverletzungen verursachen Schmerzen, und Schmerzen ihrerseits verursachen unter anderem Klagen, Erbleichen, Schreien, Weinen, Handlungen zur Versorgung des verletzten Gewebes und den Wunsch, die Schmerzen zu beseitigen. […] Schmerzen […] verursachen das charakteristische Schmerzverhalten. Ein Programmierer kann im Sinne dieser Auffassung von Schmerz einem Industrieroboter ein Schmerzprogramm schreiben. Immer dann, wenn der Roboter sich bei der Arbeit beschädigt, bringt das Schmerzprogramm ihn dazu, die Arbeit sofort zu unterbrechen und die beschädigten Teile seines Maschinenkörpers umgehend zu reparieren oder auszutauschen. […] Für die Realisierung der kausalen Rolle des Schmerzes scheint das Erleben des Schmerzes völlig unnötig und überflüssig zu sein. Das widerspricht aber unserem Alltagsverständnis von Schmerz. Schmerzen sind nicht allein durch ein bestimmtes Verhalten charakterisiert. Unser Begriff von Schmerzen umfasst [aber] nicht nur das Schmerzverhalten, sondern auch das Schmerzerleben, die Art, wie es sich anfühlt, Schmerzen zu haben. Das Rätsel von Körper und Geist (2003)

Schreibe einen Kommentar